Richtiger Biss oder einfach nur schöne Zähne?
08. Juni 2022Mit einer kieferorthopädischen Behandlung werden Zahn- und Kieferfehlstellungen behandelt. Aber steht dabei die Optik im Mittelpunkt – oder der richtige Biss? Und was ist überhaupt ein richtiger Biss? Wir erklären es!
Richtiger Biss – was ist das?
Wir alle haben eine Vorstellung davon, wie ein perfektes Gebiss aussieht. Aber nicht jede Abweichung von der Norm fällt dem Laien ins Auge. Kieferorthopäden machen an bestimmten Parametern fest, ob ein richtiger Biss vorliegt oder nicht. Zum Beispiel bedecken die oberen Frontzähne normalerweise das obere Drittel der unteren Schneidezähne. Die oberen und unteren Zahnreihen bilden einen harmonischen Bogen. Die Mittellinien von Oberkiefer und Unterkiefer stimmen überein. Und die Backenzähne mit ihrer Höckerform sollten so angeordnet sein, dass die obere und die untere Zahnreihe wie Zahnräder ineinandergreifen. Weichen die Kontakte der gegenüberliegenden Zähne von der Norm ab, spricht man von Malokklusion.
Wenn die Zähne optimal ineinander verzahnen, spricht man von einem Neutralbiss. Weicht die Verzahnung des Unterkiefers nach vorn ab, handelst es sich um einen Mesialbiss. Wenn der Unterkiefer im Vergleich zum Oberkiefer zu weit hinten liegt, spricht man von einem Distalbiss. Als Referenz gilt die Relation der Eckzähne und ersten Molaren im Verhältnis zum Gegenkiefer. Eine Malokklusion kann verschiedene Ursachen haben, wie etwa Größenabweichungen von Kiefern und Zähnen, schlechte Angewohnheiten wie Daumenlutschen, Mundatmung, fehlende Zähne oder angeborene Fehlbildungen wie eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Auch eine schlecht angepasste Zahnfüllung oder eine falscher Zahnersatz kann dazu führen, dass der Biss auf einmal nicht mehr stimmt.
Warum ist ein richtiger Biss wichtig?
Ein richtiger Biss führt dazu, dass die Kräfte, die beim Zusammenbeißen auf die Zähne wirken, gleichmäßig verteilt sind. Lastet auf einzelnen Zähnen zu viel Druck, hat das Folgen. Zum Beispiel können sich Zähne verschieben oder es kann zu Kiefergelenksproblemen kommen. Fehlt der Kontakt zum gegenüberliegenden Zahn, tendieren Zähne dazu, sich aus dem Kiefer herauszubewegen. Dadurch werden sie länger, letztlich können sie sich sogar lockern oder ausfallen. Auch abnorme Abnutzungserscheinungen können auf Dauer auftreten.
Zwar ist längst nicht jede Abweichung vom richtigen Biss sofort behandlungsbedürftig. Je nach Art und Ausprägung kann ein falscher Biss jedoch negative Auswirkungen auf die Mundgesundheit und das Gesamtsystem haben (siehe Abbildung). Das Risiko für Karies und Parodontitis kann erhöht sein, aber auch beim Kauen, Schlucken, Atmen oder Sprechen können Probleme auftreten.
Einfach nur gerade Zähne – geht das?
Für viele Patienten stehen bei einer kieferorthopädischen Behandlung ästhetische Gesichtspunkte im Vordergrund. Das ist auch völlig in Ordnung. Eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung mit fundierter Diagnostik durch den Zahnarzt oder Kieferorthopäden sollte vor Behandlungsbeginn sicherstellen, ob parodontale oder funktionelle Probleme vorliegen. Denn bei einer Behandlung, die einfach nur die Frontzähne ("social six") geraderückt, besteht das Risiko, dass ein falscher Biss neu entsteht, sich verschlimmert oder das Zubeißen nachhaltig gestört ist. Ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie schaut immer auch auf den richtigen Biss und die Gesundheit von Mund, Zähnen und Kiefergelenken.
Nur in seltenen Fällen ist eine rein ästhetische Therapie, die sich auf die Korrektur der Frontzähne beschränkt, ausreichend. Die Grenze zwischen Ästhetik, Funktion und medizinischer Indikation ist immer fließend. Ob eine medizinische Indikation vorliegt, kann ein Kieferorthopäde aufgrund seines Know-hows und der Diagnostik, die er durchführt, sehr sicher beurteilen. In kommerziellen Aligner-Shops wird dagegen teilweise unkritisch zu einer rein ästhetischen Behandlung geraten – mit Risiken für die (Zahn-)Gesundheit. Damit der Therapie mit Zahnspange oder Aligner der richtige Biss nicht zum Opfer fällt, gehört sie in die Hände eines Kieferorthopäden – auch wenn es dem Patienten eigentlich nur um eine ästhetische bzw. kosmetische Korrektur, d.h. gerade Zähne geht.
Fazit:
Nur in den seltensten Fällen handelt es sich um eine reine ästhetische Korrektur. Jede singuläre Zahnbewegung führt zu Veränderungen im diffizilen Kausystem.
Quellen
- Das Gesundheitsportal medondo.health
- Masucci C, Oueiss A, Maniere-Ezvan A, Orthlieb JD, Casazza E. Qu’est-ce qu’une malocclusion ? [What is a malocclusion?]. Orthod Fr. 2020 Jun 1;91(1-2):57-67. French.
- Ruf S, Proff P, Lisson J. Zahn- und Kieferfehlstellungen – gesundheitliche Relevanz und Behandlung [Health relevance of malocclusions and their treatment]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021 Aug;64(8):918-923. German.
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- Bundesgerichtshof, Urt. v. 29.03.2017, IV ZR 533/15
- Stiftung Warentest, 2015, SBN: 978-3-86851-149-9, Kieferorthopädie, Zahnspange – ja oder nein?
- Zach, Michael, Ästhetik in der kieferorthopädischen Zahnmedizin, Quintessence Publishing, Team Journal 2018, 279-282
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- Motamedi-Azari, Farnaz Amin, Nima Alkadhimi, Aslam. (2018). Short Term Orthodontics (STO). A Review of the Literature. 94th European Orthodontic Society Congress